
Ich habe hier vor ein paar Jahren einen ähnlichen Beitrag schon mal geschrieben, “Dorfleben vs. Stadtleben”, damals ging es um einen Vergleich meiner Erfahrungen auf dem Land und in der Stadt welche natürlich auch nur meine persönlichen Erfahrungen und Meinungen wiedergibt.
Ich wollte an diesem Thema, wo nun wieder einige Zeit vergangen ist, anknüpfen und das Stadtleben als ehemaliges Dorfkind aus meiner ganz persönlichen Perspektive betrachten.
Es sind schon zwei komplett unterschiedliche Welten: Das eine Extrem, wenn man das so nennen will, das sind die kleinen Dörfer, diese Provinznester die kleine Inseln der Zivilisation sind und weitaus persönlicher sind. Das andere Extrem sind die Großstädte wo man im Vergleich dazu sehr viel anonymer lebt aufgrund der hohen Einwohnerzahl und der Größe einer Stadt.
Als Kind kann man sich leider nicht aussuchen wo man zuerst lebt bzw. leben will. Das liegt in der Natur der Sache.
Genauso wenig wie man als Kind sich nicht aussuchen kann auf welcher Grundschule man kommt. Darüber entscheiden leider immer andere da man sowas selbst noch nicht kann.
Seine Eltern kann man sich leider nicht aussuchen, schön wäre es aber, vor allem in Fällen wie mir, merkt euch das bitte bis zum Schluss, denn darauf werde ich sicher noch zu sprechen kommen.
Wie dem auch sei, ich selbst wurde in einem Dorf ins Leben geschmissen, so wollte es das Schicksal. Es war vor allem bis Anfang der 2000er ein relativ gemütliches Dasein. Die Welt war klein, übersichtlich und sie war einfach schwer in Ordnung wenn man so will. Doch mit dem Alter wachsen die Ansprüche an sich selbst und sein Leben. Bald schon will man mehr erleben, man will mehr von der Welt sehen und erleben. Denn die Welt fängt an, zu klein zu werden. Was hat denn schon ein kleines Provinznest von Dorf für junge Menschen zu bieten? Erfahrungsgemäß nicht sehr viel.
Die Nachteile eines Lebens in der Provinz
Viele Annehmlichkeiten wie etwa bestimmte Freizeitangebote, Einkaufsmeilen und solche Geschichten gibt es in den meisten Fällen nur in der Stadt. Auch bei mir war es immer so, daß man raus zur Stadt fahren musste, wollte man etwa zum Saturn, Media Markt, bestimmte Kleidungs- und Schuhgeschäfte etc. Ich kann mich beispielsweise noch gut daran erinnern, daß wenn ich wieder ein Spiel für meinen Gae Boy Color oder Nintendo DS wollte, man immer zur Stadt fahren musste da es im Dorf so einen Laden wie Woohlworth oder Media Markt gar nicht gab. Das ist einer der Nachteile wenn man in so einem Kaff lebt. Früher habe ich als Kind auch viel mit Lego gespielt, wollte ich also neue Lego-Sachen, dann musste man wieder hin zur Stadt fahren weil es im Dorf keinen Laden gab der sowas anbot.
Und mal eben im Internet etwas bestellen war um die Jahrtausendwende noch kein großes Ding, kannten wenige und davon wurde auch kein Gebrauch gemacht. Die ersten Internetbestellungen wurden erst in der zweiten Hälfte des Jahres 2003 getätigt. Damals waren es nur ein paar Bücher und Löwenzahn CD-ROMs, letztere habe ich bis heute noch in meinem Besitz.
Ansonsten wurde, wenn mal überhaupt Bestellungen anstanden, immer aus den Katalogen von Quelle oder Otto bestellt, also ganz klassisch offline was entsprechend viel Zeit in Anspruch nahm.
Natürlich konnte man da nicht mal eben per Paypal oder irgendwie sowas bezahlen wie das heute der Normalfall ist.
Gegen Ende der 2000er als ich anfing, Gitarre zu spielen kam der Umstand hinzu, daß es im Dorf keinen Musikladen gab, das hieß für mich daß ich auch dafür raus zur Stadt fahren musste, wollte ich mir auf die Schnelle neue Saiten, neues Equipment etc. beschaffen. Daß es auch das Musikhaus Thomann gab, wo man sich online alles bestellen konnte, davon habe ich erst später erfahren.
Die Liste der Nachteile die ich persönlich erlebt habe könnte ich noch lange weiterführen. Ein Leben in der Provinz ist zwar durchaus ruhig und gemütlich, doch wahrlich nicht jedermanns Geschmack.
Dazu sei aber auch gesagt, daß diese Erfahrungen allesamt in den 90ern, 2000ern und den frühen 2010ern gemacht wurden, ich wohne seit Jahren in der Stadt und dazu will ich nun auch kommen.
Die Annehmlichkeiten und Vorzüge des Stadtlebens
Das Stadtleben steht im krassen Gegensatz zu all dem oben beschriebenen. Viele Dinge liegen im Idealfall direkt in fußläufiger Nähe, man braucht dafür nicht mal ein Auto, geschweige denn den ÖPNV.Das letzte Mal daß ich mit dem Bus unterwegs war, das war im Sommer 2019, danach habe ich nie mehr wieder einen Bus von innen gesehen. Seit Jahren ist die S-Bahn bzw. der Zug das einzige Verkehrsmittel welches ich benutze um von A nach B zu kommen.
Dank der örtlichen Lage wo ich wohne, kann ich problemlos überallhin gehen, soweit mich die Füße tragen können. Und ich bin einer der durchaus auch mal einige Kilometer läuft um dort zu gelangen wo ich hin will. Der örtliche Musikladen ist relativ schnell erreicht, der nächste Elektronikmarkt ist auch nicht weit weg, alles ist schnell zu Fuß erreicht.
Hinzu kommt der seltene Luxus, daß hier in Essen am Hbf der Lidl auch an Sonn- und Feiertagen aufhat sodass ich selbst an Sonntagen noch schnell mal einkaufen kann wenn ich dringend was brauchen sollte wovon ich schon das eine oder andere Mal Gebrauch gemacht habe. Sowas ähnliches gibt es nur in Köln ließ ich mir im letzten Jahr sagen.
Für mich sind all diese Annehmlichkeiten aus Sicht eines Dorfkindes ein absoluter Segen, man könnte schon fast sagen, ein Luxus der den Städtern vorbehalten ist.
Dann und wann mal bin ich auch in Düsseldorf unterwegs. Düsseldorf ist noch mal ein etwas anderes Level wenn man so will. Diese Stadt ist einfach stets am Puls der Zeit, da wollen halt viele hin. Die Folgen davon sind Wohnungsknappheit und hohe Mieten. Einer der Gründe weshalb ich nach Essen und nicht nach Düsseldorf gezogen bin, einfach weil sich in letzterer Stadt aus Gründen nichts finden ließ.
Seit ich hierhin gezogen bin, habe ich mich mit den Jahren immer mehr und besser eingelebt. Man schließt so seine Bekanntschaften, man “kennt” sich, man sieht sich, man wechselt dann und wann mal ein paar Worte.
Da ist der eine oder andere Mitarbeiter bei der örtlichen Postfilliale den man schon länger sieht, da ist der eine oder andere Kassierer beim Aldi, Rewe oder sonst einem Laden den man immer wieder mal sieht und wiedererkennt etc.
Beim örtlichen Musikladen bin ich längst ein bekannter Stammkunde wenn man so will, man ist sich längst per Du, man weiß voneinander und kennt sich.
Sowas gibt es natürlich auch anderswo, auch im Dorf. Auf dem Land reicht das je nach Größe von “jeder kennt jeden” bis “viele kennen viele”. In der Provinz scheint das jedoch schneller zu geschehen als in der Stadt, da dort aufgrund der deutlich geringeren Einwohnerzahl die Anonymität deutlich geringer ist. Es ist alles übersichtlicher als in der Stadt. Die Welt ist auf dem Land einfach viel kleiner skaliert könnte man auch sagen.
Wie dem auch sei, ich will die Vorzüge des Lebens hier auf der Stadt nicht mehr missen, es hat mir, zumal ich keinen Führerschein habe (ja sowas gibt es auch), sehr vieles sehr viel einfacher gemacht.
Das einzige was mir fehlt ist die Nähe zur Natur. Es gibt oft genug Tage an denen wünsche ich mir, ich könnte einfach nach draußen gehen und in spätestens 10 Minuten bin ich im Wald, nahe eines Kornfeldes oder einfach nur mitten in der Landschaft. Einfach mal im Frühling und Sommer die Vögel zwitschern hören, die klare Luft genießen und diese Ruhe, ja man könnte schon fast Stille dazu sagen, genießen. Diese Langsamkeit die ein jeder mal braucht wenn es einem zu viel wird.
Doch ich kann mich diesbezüglich zügeln, denn in meinem Fall überwiegen die Vorteiles des Stadtlebens. Mittlerweile “kenne” ich die Gegend hier, ich “kenne” die Leute hier und einige kennen mich auch. Die Anonymität ist in Städten, vor allem Großstädten, zwar sehr viel stärker ausgeprägt, doch so ganz richtig anonym ist man nach einigen Jahren dann doch nicht mehr.
Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, als ich hierhin gezogen bin. Dieses Gefühl, komplett alleine zu sein, den Ort gar nicht richtig zu kennen, alles neu kennenlernen zu müssen. Man kennt die Menschen hier gar nicht, weiß nicht, wo was genau ist.
Auch heute noch erinnere ich mich daran, wo ich noch am gleichen Tag, wo ich umgezogen bin, am Abend zum Aldi musste um noch ein paar Kleinigkeiten zu besorgen. Ich fühlte mich die ganze Zeit, ob auf dem Weg dahin, während des Einkaufes oder beim Heimweg, immer irgenwie so depressiv. Ich hatte tagelang eine leichte depressive Verstimmung, aus Gründen. Doch das ist normal wie mir ein sehr guter Bekannter sagte. Er kennt das auch von sich selbst daß man sich gerade in den ersten paar Tagen etwas depressiv fühlen kann. Diese gute Bekannte half mir auch beim Umzug und hat damit so seine Erfahrungen gemacht.
Mein Fazit heute
Die Flucht vom Dorf hin zur Stadt war in meinem Fall ein echter Befreiungsschlag. Das Dorf von wo ich herkomme, fühlte sich für mich mit den Jahren immer mehr wie ein großes Freiluftgefängnis an. Auch wenn die Vorteile des Dorflebens in einigen Aspekten verlockend klingen, heute sind diese für mich viel weniger mein Fall als noch vor vielen Jahren. Das Stadtleben kann bei Menschen wie mir schon sehr viel mehr Bedürfnisse befriedigen als so ein Loch von Provinznest.
Hier habe ich im Grunde genommen sehr viel mehr was ich will und brauche und brauche weder ein Auto bzw. jemanden der mich dort hin fährt noch den ÖPNV um dorthin zu gelangen. Man ist ein ganzes Stück weit unabhängiger und freier.
Doch ich bin auch sehr froh darüber, dieses Kaff von damals komplett hinter mir gelassen zu haben. Die 90er und die erste Hälfte waren noch schwer in Ordnung für mich, doch ab der 2. Hälfte der 2000er ging es mit meinem Leben ganz rapide bergab. So nett die Gegend auch ist, so brutal war meine Vergangenheit ab dieser Zeit.
Ich werde darüber noch eines Tages schreiben, doch nicht alles, denn einige Dinge bleiben besser komplett privat, Privatsache ist und bleibt Privatsache.
Durch meine teils sehr grausame Zeit mit darauf folgendem Totalabsturz habe ich den Ort sehr schnell immer mehr und mehr richtig zu hassen gelernt. Es ist nicht das Dorf was das Problem ist, es sind die Erinnerungen die damit verbundenen Erfahrungen etc. die das Problem sind.
Wie ganz am Anfang schon erwähnt kann man sich seine Eltern und seinen Wohnort leider nicht aussuchen. Darauf ziele ich auch im letzten Absatz ab. Es ist mein Glück, raus aus diesem Scheißkaff zu sein welches immer mehr zum Gefängnis verkommen ist. Ja ich bin zwar ein Dorfkind und werde es wohl auch immer irgendwie bleiben, doch den Ort von wo ich herkomme werde ich für immer richtig hassen. Aus Gründen, auf die ich in einem späteren Beitrag vielleicht noch kommen werde. Nur so viel: Die Vergangenheit ist geprägt von schwerer Kindesmisshandlung, also Misshandlung an mir. Die Dinge die ich darüber erzählen kann, sind erschütternd und wiegen sehr schwer.
Das Leben hier ist so viel besser und erträglicher, es war und ist eine Befreiung für mich. Mir fehlt zwar die Natur bzw. die Nähe dazu, das jedoch wird durch andere Dinge fast vollständig ausgeglichen. Es lässt mich zwar die äußerst grausigen Erinnerungen an den alten Ort nicht völlig vergessen, doch es gibt mir die nötige physische Distanz die ich brauche um mich ein wenig besser zu fühlen und vor allem von all den Dingen ein wenig weg zu kommen. Längst fühle ich mich hier nicht mehr so fremd wie noch vor einigen Jahren, Änderungen gehören zum Leben dazu und sollten als Möglichkeit betrachtet werden, Dinge neu anzugehen, einen Neuanfang zu wagen und Dinge anders anzugehen.
Es ist mein Glück, daß ich aus diesem Höllenloch von Scheißkaff raus bin so heftig sich das erstmal anhört. Doch das hat wie hier schon angedeutet alles seine Gründe, sehr gute sogar.